Doping Vertuschung in den USA

Feind im eigenen Haus

Dem Spitzensport in den Vereinigten Staaten droht ein gigantischer Skandal:
Haben mehrere hundert Athleten ungestraft gedopt?
Ein Insider will vor Gericht auspacken.

aus: DER SPIEGEL 1/2001
von: Udo Ludwig, Michael Wulzinger

  An Kompetenz hatte es dem Bewerber nicht gefehlt. In der Yale-Universtität und dem Computerkonzern IBM spürte der Arzt und Psychiater Wade F. Exum medikamenten- oder drogenabhängige Mitarbeiter auf und therapierte sie. Im Mai 1991 bekam er deshalb den Job als Direktor der Anti-Doping-Abteilung des Nationalen Olympischen Komitees der Vereinigten Staaten (USOC):
  Was der Afroamerikaner im USOC-Hauptquartier in Colorado Springs mit den Jahren so alles erlebte, hatte mit Doping-Bekämpfung  jedoch wenig und mit Doping-Vertuschung viel zu tun. Er fühlte sich von seinen Vorgesetzten bedrängt und kündigte im vorigen Juni. Für interessierte Kreise des US-Sports ist er jetzt so etwas wie ein Staatsfeind.
  Denn Exum, 51, hat sein Wissen nicht für sich behalten. Er hat es für eine Schadensersatzklage genutzt, der das Bezirksgericht in Denver das Aktenzeichen 00-CV-14121 gab. Die 31 Seiten umfassende Schrift erhebt schwerste Vorwürfe gegen das USOC:
  Der Kläger liefert der Justiz detailgetreu das Bild eines korrupten Funktionärskartells. Seine Ansätze einer wirksamen Anti-Doping-Politik, so der Wissenschaftler, seien systematisch untergraben worden.
  Exums Vorwürfe: Gut die Hälfte mehrerer hundert amerikanischer Athleten, die in den vergangenen Jahren mit verbotenen Substanzen erwischt worden ist, sei nicht gesperrt worden. Von den Sportlern, die m den vergangenen neun Jahren mit überhöhten Testosteron-Werten ertappt wurden, sei keiner bestraft worden. Zudem kenne er, behauptet der Mediziner, die Namen von US-Olympioniken, die Me­daillen gewannen, bei den Ausscheidungs­wettkämpfen für die Spiele indes als Doper aufgeflogen waren.
  „Das wahre Interesse“ des USOC, so fasst Exum zusammen, bestehe darin, „Goldmedaillen-Gewinner hervorzubringen, die nicht nur Großartiges, sondern Übermenschliches leisten“. Und für das USOC stehe außer Frage: Um diese über­menschlichen Rekorde zu erreichen, müsse gedopt werden.
  Bisher kursierten immer nur Gerüchte um die Fabel-Weltrekorde von US-Athleten wie die zwölf Jahre alte Bestmarke der 1oo-Meter-Sprinterin Florence Griffith Joyner, die mittlerweile an Herzversagen gestorben ist. Selbst untereinander bezichtigten sich die Topathleten aus den Staaten des Betrugs.
  Und plötzlich steht Wade F. Exum da. Seine Dokumentation birgt enorme Sprengkraft. In einer Zeit, in der in Frank­reich und Italien die Doping-Gesetze dras­tisch verschärft worden sind und spekta­kuläre Prozesse mit der Legende vom sau­beren Sport aufräumen, droht nun auch in den USA ein Verfahren von ungeahnter Dimension - und leicht drängen sich Ver­gleiche auf mit der gerichtlichen Aufarbei­tung des flächendeckenden Staatsdopings in der DDR. Denn niemals zuvor ist Er­mittlern derart dichtes Material über den notorisch dopingverdächtigen US-Sport in die Hände gefallen.
  Die Verteidigungslinien sind gezogen:
  Das USOC weist Exums „öffentlichkeits­heischende Behauptungen“ energisch zurück. Der ehemalige Angestellte werde alles „mit Fakten belegen müssen“, empör­te sich Verbandssprecher Mike Moran, „und wir gehen davon aus, dass wir diese Behauptun­gen widerlegen können“.
  Das wird nicht leicht sein. Denn kürzlich reichte Exum etwa 11.000 Blatt beim U.S. District Court in Denver als Anhang nach, die offenbar Hunderte positiver Dopinganalysen dokumentieren. Die USOC-Advokaten reagierten mit einem juristischen Winkelzug. Sie beantragten, Exums Beweismate­rial nicht zuzulassen. Es handele sich um Unterlagen „hoch sensibler, vertraulicher oder geschützter Natur“, die Exum sich auf illegale Weise verschafft habe.
  Über das USOC-Gesuch will das Gericht Ende Januar entscheiden. Auf den Rich­tern lastet ein erheblicher Druck. Denn ge­gen die Geheimhaltungstaktik hat sich eine Allianz einflussreicher US-Medienkonzer­ne formiert. Angeführt von der Zeitung „Salt Lake Tribune“, die sich bereits bei der Enthüllung des IOC-Korruptionsskan­dals um die Vergabe der Winterspiele 2002 einen Namen gemacht hat, wandten sich mehrere überregionale Blätter, TV-Sender und Nachrichtenagenturen an den District Court - sie berufen sich in ihrer Klage-Drohung auf den „Act of Information“, eine Säule des großzügigen US-Presserechts, und fordern schonungslose Auf­deckung der Fakten.
  „Die amerikanische Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren“, so Michael O‘Brien‘ ein Anwalt der „Salt Lake Tribune“, ob Athleten, „die Amerika repräsentieren, sich an die Regeln halten oder nicht - und dazu gehören auch die Doping-Regeln.“
  Die auffallend laxe Haltung seiner Funktionäre beim Thema Me­dikamentenmissbrauch hat den US-Sport international zuletzt in arge Nöte gebracht. So berichtete die Zeitung „The Australian“ Ende September von 207 Doping-Fällen in den USA - nur 10 davon, so das Blau unter Berufung auf offizielle Unterlagen, hätten Sanktionen zur Folge gehabt.
  Die Nachforschungen des Aus­lands führten schließlich dazu, dass das USOC 33 ungeahndete Fälle aus der Leichtathletik allein für das Jahr 1999 eingestand. Indes: Die Namen der Doper verheimlichten die Funk­tionäre weiterhin - aus Furcht vor Scha­densersatzklagen in Millionenhöhe. Selbst IOC-Vizepräsident Thomas Bach, ansons­ten nicht gerade die Speerspitze der Antidoping-Bewegung, monierte: „Die Do­ping-Politik der Amerikaner funktioniert nicht. Sie müssen sich endlich internatio­naler Aufsicht stellen, um Chancengleich­heit zu gewährleisten.“
  In Aufregung versetzt hat die Welt des Sports in Sydney auch der Fall des Kugelstoß-Weltmeisters C. J. Hunter. Der Ehemann der Sprintern Marion Jones war im Sommer gleich viermal mit stark erhöhtem Nandrolon-Wert aufgefallen -  und von seinem Leichtathletik-Verband rechtzeitig über die Testergebnisse infor­miert worden. Die Öffentlich­keit erfuhr zunächst nichts. Hunter erhielt vom USOC eine Akkreditierung für Sydney, verzichtete aber wegen einer angeblichen Knieverlet­zung auf den Start. Erst in der zweiten Olympia-Woche kam die Affäre ans Licht.
  Dass den Amerikanern Medaillen wich­tiger sind als Moral, ist für Insider ein al­ter Hut. Es gehöre zum „Allgemeinwis­sen“, so der Doping-Experte John Hoherman von der University of Texas, dass das USOC vor den Spielen 1984 in Los Ange­les seine Favoriten auf Drogen testete - allerdings nur, um wie die Rivalen aus dem Ostblock sicher zu sein, dass die Ath­leten nicht erwischt würden.
  In Seoul, wo der kanadische Sprinter Ben Johnson 1988 als voll gepumpter Tar­tanbahn-Zombie aufflog, durften fünf US-Athleten starten, die kurz zuvor in der Hei­mat den Doping-Fahndern noch ins Netz gegangen waren - zwei von ihnen gewan­nen Medaillen.
  Auch in Atlanta 1996 war alles präpa­riert. Vor den Spielen verkündete das USOC, dass sein Drogentestprogramm - von einem Offiziellen stolz als das „härtes­te Anti-Doping-Programm der Welt“ be­zeichnet - erst nach Olympia in Kraft trete: „Unangekündigte Kontrollen wird es nicht geben - wir testen wie bisher.“ Und das bedeutete: so gut wie gar nicht.
  Ins Bild passt auch Exums Klage, dass ihm eine Zeit lang beim USOC ein gewis­ser James Page als Aufpasser vor die Nase gesetzt wurde - Page war zuvor vom Weltskiverband lebenslang gesperrt worden, weil er seine Finger beim Dopen eines Ath­leten mit im Spiel haue.
  So war es wohl öfter: Wenn beim USOC Stellen neu besetzt wurden, entschied nicht unbedingt die Fachkenntnis. Laut Exum tru­gen vier Funktionäre die Verantwortung für Sportmedizin und Doping-Kontrolle, ohne dass sie „die geringste medizinische Ausbil­dung oder irgendeine staatliche medizini­sche Zulassung“ besaßen.
  Vor allem in der Abteilung Sportmedizin herrschten, so Exum weiter, sonderbare Bedingungen. Laienkräfte, die dort arbeiteten, waren im Besitz von Schlüsseln für die Apotheke - und verteilten Medika­mente an Athleten.
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