Anti-Dopingkampf in Deutschland tritt auf der Stelle
Vor dem Hintergrund des sensationellen Funds einer offiziellen Doping-Richtlinie der DDR,
die auch noch von einem Mitglied des NOK, Harold Tünnemann, unterzeichnet ist,
gewinnt die Frage, wo man eigentlich steht bei der Dopingbekämpfung in Deutschland,
wieder besondere Bedeutung.

Die deutschen Politiker tun sich jedenfalls weiterhin schwer, noch in dieser Legislaturperiode ein
Anti-Doping-Gesetz zu verabschieden, und so gesehen scheint es mit der so gerne proklamierten
internationalen Vorreiterrolle des Anti-Dopingkampfs in Deutschland gar nicht so weit her zu sein.

In diesem Zusammenhang ist der nachfolgende Bericht von Andreas Singler, dem Autor
mehrerer Bücher zur Dopingproblematik, in der Süddeutschen Zeitung vom 16.10.01 zum
Anti-Dopingkampf in Frankreich sehr aufschlußreich.

Ein Antennenwald gegen das Doping
von Andreas Singler, Süddeutsche Zeitung, 16. Oktober 2001

Falsch verstandene Autonomie des Sports in Deutschland verhindert
konzertierte Aktionen wie in Frankreich

Toulouse - Dem französischen Sportmediziner Frédéric Depiesse aus Toulouse genügt häufig schon ein Blick in die Zeitung, um zu sehen, dass sich in Frankreich ein tiefgreifender Stimmungswandel zur Dopingfrage vollzogen hat. „Nehmen Sie die Zeitung Le Monde“, sagt Depiesse, „seit drei Jahren können Sie dort sehr viele Artikel über Doping lesen. Vor 1998 war da fast nichts.“ 1998 war das Jahr, das im französischen Sport vieles verändert hat. Der durch die staatlichen Ermittler enthüllte Skandal bei der Tour de France wirkt bis heute nach und zwar in vielfältigen Maßnahmen zur Verhinderung von Doping. Ungewöhnlich an dem von Jugend- und Sportministerin Marie-Georges Buffet in die Wege geleiteten Anti-Doping-Gesetz: Die hierzu unternommenen Anstrengungen erlahmen nicht etwa, wie das häufig zu beobachten ist, wenn nach großen Skandalen der Rauch sich erst einmal verzogen hat - sie werden sogar permanent gesteigert.

So hat die Regierung in Frankreich ihre Ausgaben für den Komplex medizinische Betreuung und Dopingbekämpfung in den vergangenen fünf Jahren von 23 im Jahr 1997 auf 160 Millionen Francs 2001 gesteigert. „Unter der jetzigen Regierung ist die Situation jedes Jahr besser geworden“, sagt Frédéric Depiesse, „sowohl für die Sportmedizin als auch für die Maßnahmen zur Prävention.“ Die Regierung hat nicht nur die diesbezüglichen Ausgaben für die Spitzenverbände kontinuierlich gesteigert, sie forciert den Gedanken der Verhinderung von Doping auf verschiedenen Ebenen. Derzeit existieren schon in zehn Departements so genannte „Antennen“, und nach dem neuen Gesetz soll es diese regionalen Koordinierungsstellen Ende 2002 in allen 24 Regionen geben. Dort sollen sie mit den Regionalbüros des Gesundheitsministeriums, mit Polizei oder Apothekern kooperieren, um Doping zu verhindern. „Dass alle Institutionen zusammenarbeiten, ist neu“, sagt Depiesse. Dort sollen sie aber auch Sportlern, die unter gesundheitlichen Schäden nach Doping leiden, Hilfestellungen anbieten und ferner versuchen, dopende Athleten von Betrug und Selbstschädigung abzuhalten.
Genau diese Einrichtung von festen, landesweiten Strukturen ist die große Stärke im französischen Kampf gegen Doping. Durch die flächendeckende Einrichtung solcher regionalen Anti-Doping-Zentren wird eine große Zahl an Sportlern in Verbänden, aber auch in Vereinen oder Schulen erreicht. Frédéric Depiesse leitet die „Antenne“ des Departements Midi-Pyrénée in Toulouse, und die momentan vordringliche Aufgabe sieht er darin, noch immer herrschende Wissenslücken zu beseitigen. Von den 7000 Sportmedizinern „wussten vor 1998 eigentlich fast nur die Doping-Ärzte über Doping Bescheid“, sagt Depiesse. „Die meisten wissen weder, was Nandrolon noch was Kreatin ist“, was also schon verboten und was gerade noch erlaubt ist. „Da haben wir noch sehr viel Arbeit vor uns.“

Im Blick haben die französischen Dopingbekämpfer aber nicht nur die medizinische Seite des Problems. „Auch die Erziehung ist ein Ziel für uns“, sagt Frédéric Depiesse. „Viele Jugendliche glauben, dass sie als Leistungssportler etwas nehmen müssen, das ist ein großes Problem.“ Prävention bedeutet nicht nur Dopingkontrolle und medizinische Aufklärung, sie bedeutet Überprüfung gängiger Einstellungen: „Wir müssen den Jungen sagen, dass sie auch ohne Doping und auch ohne Nahrungsergänzungsmittel gut sein können - nur eben nicht jeden Tag.“
An konzertierten Aktionen wie in Frankreich ist in Deutschland momentan nicht zu denken. Hierfür fehlt es an vielerlei Antennen in Bundes- und Landespolitik sowie im Sport selbst. Zum einen, weil der Sport sich selbstgefällig in einer internationalen Vorreiterrolle wähnt. Zum anderen erschweren die föderalen Strukturen sowie eine häufig falsch verstandene Autonomie des Sports tief greifend Maßnahmen - niemand fühlt sich zuständig. Gerade was aber die pädagogische Seite angeht, sagt Jürgen Barth von der Anti- Doping-Kommission des Deutschen Sportbundes, „haben wir durchaus Defizite“. Zwar gebe es vereinzelt Projekte wie jenes des deutsch-französischen Jugendwerks, das der DSB seit zwei Jahren unterstützt. „Aber das ist viel Aufwand für eine kleine Gruppe von Sportlern. Ein Schneeballeffekt ist davon natürlich nicht zu erwarten.“ Auch nicht von punktuell ausgeführten Projekten in Schulen, so positiv diese zu bewerten sind.
Für Jürgen Barth, dessen Abteilung „zweieinhalb Stellen“ (im Gegensatz zu 35 hauptamtlichen Mitarbeitern der australischen Anti-Doping-Agentur) mit einer Organisation umfassender Präventionsmaßnahmen überfordert ist, gehört die Vorbeugung gegen Doping auch in die Hände des Leistungssports. „Das müsste von Verbänden und Trainern aufgegriffen werden“, sagt Barth. „Es gehört in die Kaderarbeit von Verbänden.“ Diese Einschätzung deckt sich mit der von Frédéric Depiesse in Frankreich. „Die Trainer sollten sich mehr für die Prävention interessieren“, sagt er. „Gerade der erste Trainer eines Jugendlichen hat sehr große Einflussmöglichkeiten. Wenn er grundsätzlich nein sagt, ist das etwas anderes, als wenn er sagt: Du kannst ruhig mal eine Aspirin vor dem Wettkampf nehmen.“